ADHS bei Mädchen und Frauen*
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist keine reine Kinderkrankheit, sondern kann ein Leben lang bestehen ("life-long condition"). Während sie im Kindesalter häufiger bei Jungen diagnostiziert wird, insbesondere der hyperaktiv-impulsive Typus, leiden Mädchen und später Frauen* oft unter dem vorwiegend unaufmerksamen Typus. Dies führt dazu, dass ihre Schwierigkeiten oft übersehen oder missverstanden werden, da sie nicht als "Störenfriede" auffallen. Die Prävalenz bei Erwachsenen wird auf 1–6 % geschätzt, wobei die Raten nach DSM-IV für Frauen bei 3,2 % und für Männer bei 5,4 % liegen. (vgl. Krause
ADHS bei Frauen* im Erwachsenenalter
Charakteristische Symptome und Herausforderungen bei Frauen:
Emotionale Labilität und Hypersensibilität:
Ein typisches Merkmal bei ADHS-betroffenen Frauen* sind schnelle und intensive Stimmungsschwankungen ("Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt"), die durch kleinste Anlässe ausgelöst werden können. Diese emotionale Instabilität führt oft zu einem negativen Selbstbild, da Betroffene ihre ausgeprägte Empfindsamkeit und Intuition eher als Belastung empfinden und sich oft "anders" fühlen.
Unaufmerksamkeit und Vergesslichkeit:
Dies äußert sich in Schwierigkeiten, Details zu beachten, die Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrechtzuerhalten, scheinbarem Nicht-Zuhören und dem Nicht-Beenden von Aufgaben. Viele Frauen tendieren dazu, sich in Tagträumen zu verlieren. Alltagsgegenstände wie Schlüssel oder Portemonnaie werden häufig verlegt.
Desorganisation und Prokrastination:
Ein chronisches Chaos im Haushalt und am Arbeitsplatz ist weit verbreitet. Frauen* mit ADHS haben große Schwierigkeiten, Routineaufgaben zu bewältigen und leiden unter dem Gefühl, nie fertig zu werden oder überfordert zu sein. Dies kann zu Scham und sozialem Rückzug führen.
Innere Unruhe und Impulsivität:
Während motorische Hyperaktivität bei Frauen weniger auffällig ist als bei Männern, erleben sie oft eine starke innere Unruhe. Impulsivität äußert sich in übertriebenem Rededrang, Unterbrechen anderer, Ungeduld und Wutausbrüchen oder niedriger Frustrationstoleranz. Impulsives Kaufverhalten wird ebenfalls beschrieben.
Sensorische Empfindlichkeiten:
Viele ADHS-Betroffene, insbesondere Frauen, zeigen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Gerüchen, Licht und Berührungen.
Hyperfokussierung:
Paradoxerweise können ADHS-Betroffene sich auf als interessant empfundene Aufgaben äußerst intensiv und anhaltend konzentrieren, oft unter Vernachlässigung anderer wichtiger Pflichten
Diagnostik der ADHS bei Frauen*:
Die Diagnose einer ADHS sollte umfassend und gründlich erfolgen, da es keinen einzelnen Test gibt, der die Diagnose allein sichert. Stattdessen wird die Lebensgeschichte, eine Summe von Einzeluntersuchungen, störungsspezifische Fragebögen (z.B. Brown-ADD-Scales, ASRS-v1.1, DIVA), ausführliche Interviews und eine psychologische Abklärung herangezogen. Die Wender-Utah-Rating-Scale (WURS-k) wird ebenfalls zur retrospektiven Erfassung von Symptomen in der Kindheit verwendet. Es ist wichtig zu beachten, dass DSM-IV-Kriterien für Mädchen weniger spezifisch sein können als für Jungen, und dass die Utah-Kriterien erweiterte Merkmale wie emotionale Dysregulation umfassen.
Häufige Begleiterkrankungen (Komorbiditäten):
ADHS tritt bei Frauen sehr häufig in Kombination mit anderen psychischen Störungen auf, darunter:
- Depressionen.
- Angststörungen und Panikattacken.
- Essstörungen (z.B. Bulimie).
- Substanzmittelabhängigkeiten (Alkohol, Drogen, Nikotin), oft als "Selbstmedikation" zur Beruhigung innerer Unruhe.
- Teilleistungsstörungen wie Legasthenie (Lese-Rechtschreibschwäche) und Dyskalkulie (Rechenschwäche) sind ebenfalls häufig komorbid.
- Das Prämenstruelle Syndrom (PMS) kann ADHS-Symptome verstärken.
- Autismusspektrum-Störungen zeigen Überlappungen mit ADHS-Symptomen, wobei 32% der ADHS-Patienten in einer Studie eine komorbide Autismusspektrum-Störung aufwiesen.
- Auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigt hohe Überschneidungen mit ADHS-Symptomen in der Kindheit.
- Schlafstörungen sind häufig, obwohl Stimulanzien paradoxerweise bei einigen Patienten den Schlaf verbessern können.
Therapieansätze bei ADHS bei Frauen*:
Eine multimodale Therapie hat sich bewährt, die meist medikamentöse und psychotherapeutische Ansätze kombiniert.
- Medikamentöse Behandlung:
- Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin, Medikinet, Concerta, Ritalin LA) und Amphetamine (Lisdexamphetamin/Elvanse, Adderall) sind Mittel der Wahl. Sie verbessern die kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Konzentration, reduzieren Ablenkbarkeit, verbessern das Kurzzeitgedächtnis und normalisieren Hyperaktivität und Impulsivität. Nebenwirkungen sind selten und geringfügig.
- Andere Medikamente wie Atomoxetin (Strattera) und Antidepressiva (z.B. SSRI, Venlafaxin/Efexor) können insbesondere bei komorbiden Depressionen oder Angststörungen eingesetzt werden.
- Psychotherapie und Selbstmanagement:
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist wirksam, oft in Kombination mit Medikamenten.
- Psychoedukation ist ein wichtiger Bestandteil, um Patienten ein besseres Verständnis ihrer Störung zu vermitteln und ein neues Selbstverständnis als "Frau mit ADHS" zu entwickeln.
- Selbstmanagement-Strategien umfassen die Verbesserung der Organisation, Prioritätensetzung, Zeitplanung (z.B. Tages- und Wochenpläne, Ruhepausen einplanen, "kein Multitasking"), den Umgang mit Ablenkbarkeit (z.B. Oropax, reizarme Umgebungen) und das Erlernen von Routinen. Auch körperliche Aktivität an der frischen Luft wird empfohlen.
- Therapeutische Begleitung hilft beim Umgang mit Stimmungsschwankungen, Stressintoleranz und gestörtem Sozialverhalten. E-Mail-Coaching kann eine sinnvolle Ergänzung sein.
Eine korrekte Diagnosestellung und angepasste Therapie können die Lebensqualität von ADHS-Betroffenen erheblich verbessern, auch im fortgeschrittenen Alter. Es ist wichtig, die Hoffnung nicht aufzugeben.
Quellen:
Allgayer, S. (2020)
Krause, J. und Krause, K.-H. (2014)
Rawak, D. (2017)
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